Soziale Verantwortung im Produktmanagement ist kein moralischer Luxus mehr

Im konzeptionellen Dreieck des Produktmanagements – erwünscht vom Kunden, gut realisierbar und wirtschaftlich machbar – ist soziale Verantwortung als Entität nicht explizit enthalten. Wir stellen zwar sicher, dass wir echte Kundenprobleme auf eine Art lösen, die Kunden gefällt und unserem Unternehmen einträglich ist. Soziale Verantwortung wird in diesen Modellen allerdings nicht erwähnt. 

Ist der reine Fokus auf Kunden und wirtschaftlichen Aspekten schuld daran, dass so viele erfolgreiche Technologie-Firmen gesellschaftliche und teils auch ökologische Krisen verursachen? Die Nostalgie und die Technologieträume des beginnenden einundzwanzigsten Jahrhunderts sind jedenfalls verflogen. Das nicht alle Menschen von Unternehmen wie alphabet, airbnb, uber oder meta profitieren, ist in der Breite der Gesellschaft angekommen. Es ist nicht mehr OK, in den komplexen globalisierten und juristischen Grauzonen Vorteile für Kunden auf Kosten der Gesellschaft und der Umwelt zu erschaffen.

Einfluss und Verantwortung des Produktmanagements

In einem aufschlussreichen und sehenswerten Vortrag macht Cennydd Bowles die Verantwortung des Produktmanagement für die geschaffene soziale Ungerechtigkeit deutlich. Etwas provokativ stellt er Produktmanager*innen als die Hauptursache für die Missstände in der Technologiebranche dar. Seine Argumente sind jedoch logisch und nachvollziehbar. Das Produktmanagement kann mehr als jede andere Rolle dazu beitragen, Produkte in die richtige Bahnen zu lenken oder dies zu unterlassen. Sie sind es, die letztendlich rassistische KIs, toxische Aufmerksamkeits-Algorithmen in sozialen Medien oder die Verknappung von Mietwohnungen zulassen. Es ist dabei unerheblich, dass dies nicht mit Absicht geschieht. Wer Verantwortung trägt, tut dies umfassend, nicht nur für die beabsichtigten Folgen des Handelns. 

Es ist daher notwendig, diesem Problem entgegenzutreten, in dem neben Kunden und dem eigenen Unternehmen weitere Gruppen in Produktentscheidungen mit einbezogen werden. Dazu zählt die Gruppe der nicht-Kunden sowie weitere Lebewesen und die Umwelt im Allgemeinen. Würden wir diese in Produktentscheidungen mit einbeziehen, könnten wir Produkte entwickeln, die unserer sozialen Verantwortung Rechnung tragen.

Wirtschaftliche Betrachtung der sozialen Verantwortung

Die genannten Krisen bekommen zunehmend auch eine wirtschaftliche Dimension. Unsere weitgehend humanistische und gut informierte Gesellschaft wird seit Jahren zunehmend kritischer gegenüber Ungerechtigkeiten aller Art. Dies hat Auswirkungen auf das Konsumverhalten und damit auf Investoren und Unternehmen. Sie erkennen, dass verantwortungsbewusste Praktiken auch einen wirtschaftlichen Vorteil darstellen. Studien und Wettbewerber zeigen auf, dass Kundenloyalität, Preis-Absatzkurven und Wachstumschancen mit der sozialen Verantwortung von Unternehmen und Produkten steigen. Soziale Verantwortung muss damit zunehmend als Teil der wirtschaftlichen Betrachtung mitberücksichtigt werden. Mit traditionellem Methoden in Entwicklungsprozessen ist dies allerdings schwer umzusetzen.

Neue Methoden für die Betrachtung sozialer Verantwortung

Soziale Verantwortung in der Produktentwicklung einzubeziehen bedeutet, auf allen Ebenen den Betrachtungswinkel zu erweitern. So können bewusste oder unbewusste negativen Folgen unserer Entscheidungen identifiziert und neutralisiert werden.  

  • Angepasste Produktprinzipien lassen Aspekte sozialer Verantwortung in das Leitbild der Produktentwicklung einfließen.
  • Erweiterte Ziele oder OKRs definieren Kennzahlen, anhand derer  soziale Verantwortung gemessen werden kann.
  • Die Strategie berücksichtigt diverse Ebenen der sozialen Verantwortung – von möglichen Wettbewerbsvorteilen bis hin zur Entscheidung, mit welchen Partnern oder auf welcher Basis die weitere Entwicklung stattfinden soll.
  • Bei der Erkundung von Problemen und möglicher Lösungen können neue Interessensgruppen einbezogen werden, die sich um gesellschaftliche Belange und solcher der Umwelt sorgen.
  • Alle eingesetzten Modelle können angepasst werden, um auch die Aspekte sozialer Verantwortung mit abzudecken.

Toughworks hat Ende 2021 das frei verfügbare Responsible Tech Playbook herausgebracht. Es beinhaltet ein Set verschiedener Methoden, die jedes Unternehmen oder Team direkt anwenden kann. Diese Methoden können helfen, Entwicklungsprozesse in Bezug auf mögliche ethische und soziale Herausforderungen zu analysieren und den Weg zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit Produkten einzuschlagen. 

Wer die Verantwortung hat, sollte sie nutzen. Als Produktmanager*in oder Produktleiter*in hast Du die Macht, die Zukunft durch die Gestaltung der Produkte zu beeinflussen. Welche Zukunft wählst Du?

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