Mythen hinterfragt – Teil 1: Brauchen Produktmanager*innen einen technischen Hintergrund?

Erfolgreiche Firmen wie meta (früher facebook) oder alphabet (früher google) stellen kaum Produktmanager*innen ein, die keinen technischen Hintergrund haben. Einige leiten daraus ab, das dies wohl ein Erfolgsrezept ist. Andere sagen, es liegt in der Kultur der Unternehmen, die von Anfang an ein technisches Führungsteam hatten und entsprechend geprägt waren. Sie bringen Amazon als Gegenbeispiel an. Was stimmt nun oder was stimmt unter welchen Bedingungen? 

Warum ein technischer Hintergrund wichtig sein kann

Lösungen im digitalen Umfeld werden mit Hilfe von Technologien entwickelt. Dafür sind zwar Entwickler zuständig, doch an der Schnittstelle zwischen Problemen und Lösungen wirken sich Technologieentscheidungen auf das Produkt aus. Innovationen, Businessmodelle und Strategien können von neuen oder richtig eingesetzten Technologien abhängen. Werden diese Aspekte ignoriert, können Potentiale oder Risiken übersehen und falsche Entscheidungen getroffen werden. 

Zudem ist es in der Zusammenarbeit mit dem zahlenmäßig überlegenen Entwicklungsteam hilfreich, ihrem fachlichen Austausch und Argumenten folgen zu können. Gute Kommunikation im Team führt zu besseren Arbeitsergebnissen sowie zu höherem Vertrauen und Respekt untereinander. 

Warum ein technischer Hintergrund überbewertet sein kann

Die Aufgaben im Produktmanagement umfassen eine große Bandbreite an Themen. Technologieentscheidungen sind je nach Produkt nur ein Bruchteil davon. Mindestens ebenso wichtig sind Fähigkeiten in anderen Bereichen, z.B.

  • Umfassendes Verständnis von Märkten, Kunden und den Problemen, die das Produkt lösen soll. Ohne dieses Verständnis kann nichts von Wert entwickelt werden.
  • Strategische Fähigkeiten und Lösungskompetenz, um diese Probleme auf eine Art zu lösen, die Kunden zufrieden macht und ein valides Businessmodell für das eigene Unternehmen ermöglicht. Dies beinhaltet Dinge wie Benutzerfreundlichkeit, rechtliche Konformität, Controlling-, Marketing- und Sales-Aspekte und vieles mehr.
  • Methodenkompetenz, um Erkundungen und Entscheidungen effizient  zu erarbeiten.
  • Empathie, Kommunikationsfähigkeit und Verhandlungsgeschick im Umgang mit dem komplexen und anspruchsvollen Stakeholder-Umfeld. 

Generell notwendiger technischer Hintergrund im Produktmanagement

Zwischen „Ich habe keine Ahnung wovon Du sprichst“ und „Wenn ich Zeit hätte, würde ich den Code selbst schreiben“ liegt eine große Spanne. Das Minimalziel für alle Produktmanager*innen sollte es sein, im Großen und Ganzen zu verstehen, wovon im Team gesprochen wird. Dadurch können Auswirkungen auf das Produkt richtig interpretiert und mögliche Technologiekonzepte diskutiert werden. Nicht tieferes Verständnis, sondern die Unterscheidung von grundlegenden technischen Konzepten ist relevant.

Es ist nicht schwer zu lernen, was der Unterschied zwischen HTML, CSS und Javascript ist und dass alle drei Frontend-Technologien sind. Auch Konzepte zu anderen Programmiersprachen, Frameworks, Datenbanken, Betriebsmodellen etc. brauchen zwar Einarbeitung, sind aber konzeptionell mit den heutigen Informationsquellen auch für Berufsgruppen außerhalb der Informatik verständlich. Wer nicht bereit oder in der Lage ist, sich diesen Level an Verständnis anzueignen, wird weniger erfolgreich agieren können. 

Produkte und Situationen beeinflussen den notwendigen Grad an technischem Wissen 

Die Produktkategorie wirkt sich zusätzlich auf die notwendige technische Kompetenz aus. Technische Produkte (Schnittstellen, Empfehlungsalgorithmen, Künstliche Intelligenz, …) brauchen definitiv Produktmanager*innen mit einem entsprechend technischen Hintergrund. e-Commerce- oder Produktivitätsprodukte brauchen eher Marktspezialisten. In beiden Fällen ist es jeweils kritisch zu wissen, was Kunden brauchen und wie Marktmechanismen funktionieren.

Daneben spielen Firmengröße und Teamzusammenstellung eine Rolle. Kleine Firmen ohne unterstützende Schnittstellenrollen wie Architekten oder Teamleitern in der Entwicklung profitieren mehr von breit aufgestellten Mitarbeitern. Alternativ kann ein kommunikativer Entwickler mit Produktverständnis die notwendige „Übersetzung“ für das Produktmanagement leisten. Es gibt keinen Grund, warum nicht ebenso Entwickler ein Verständnis vom Produktmanagement haben können, um das gleiche Problem von der anderen Seite zu lösen.

Die Anforderungen an das technische Verständnis im Produktmanagement sind daher gekoppelt an das Produkt- und Teamumfeld. Mit wenigen Ausnahmen sind sie jedoch nicht von größerer Bedeutung als andere kritische Fähigkeiten im Produktmanagement.


Dies ist ein Beitrag aus der Serie Mythen hinterfragt.


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