Mythen hinterfragt – Teil 4: Gibt es die vorbildliche Produktorganisation?

Es gibt zwei Gründe, warum PMs am Anfang der Karriere einmal bei einem der glorifizierten Tech-Unternehmen arbeiten sollten. Zum einen lernt man viel über gutes Produktmanagement. Zum anderen wird es vermutlich helfen, sich vom Mythos der perfekten Produktorganisation freizumachen. Warum ist das so?

Interessensgruppen

Ein Großteil der Literatur, der Konferenz- und Blogbeiträge wird von Berater, Trainer, zertifizierende Unternehmen und ähnlichen Interessensgruppen produziert. Auf der einen Seite schaffen Sie mit Ihrer Arbeit Grundlagen, um bessere Arbeitsergebnisse zu erzielen. Gleichzeitig glorifizieren sie in den Ausführungen die möglichen Ergebnisse, basieren diese auf prototypische Beispiele, die eingängig sind und besonders gut funktionieren. Das ist verständlich, didaktisch sinnvoll und vertrieblich klug. Die Realität, die uns umgibt, ist allerdings so vielfältig, dass diese prototypischen Beispiele selten genau die eigene Situation und das eigene Unternehmen widerspiegeln. Mir ist bewusst, dass dies die übliche Ausrede ist, die dafür genutzt wird, um eigentlich notwendige Veränderungen zu verhindern. Trotzdem kann beides zutreffen. Manchmal auch gleichzeitig. 

Marketing vs. Realität

Wenn man mit Mitarbeiter*innen aus den zitierten und oft glorifizierten Unternehmen spricht, dann werden meist zwei der folgenden drei Aussagen zutreffen:

  • Ja, das machen wir so, aber nicht überall“ oder alternativ „Ja, das haben wir so gemacht, aber jetzt machen wir es etwas anders, weil *Begründung*
  • Das klappt gut, aber dafür klappt bei uns *irgendetwas anderes* überhaupt nicht.
  • Na ja, so gut funktioniert das auch nicht, weil *Begründung*

Die Wahrheit ist, dass bei keinem Unternehmen alles gut funktioniert. Das heißt nicht, dass sich der Reifegrad im Produktmanagement trotzdem deutlich unterscheiden kann. Aber wenn PMs diese Realität erkennen, können sie befreiter und mit mehr Selbstbewusstsein innerhalb ihrer Organisationen und deren Einschränkungen arbeiten. Fast überall ist es möglich, einen guten Job zu machen. 

Methoden, Prozesse und Organisationsformen sind keine Naturgesetze, die immer gelten 

Jede Organisation, Methode oder Prozess funktioniert in einem bestimmten Umfeld besonders gut. Dieses Umfeld wird durch viele Faktoren beeinflusst:

  • Alle Führungskräfte – auch wenn nicht so bekannt wie Steve Jobs oder Elon Musk – haben einen spezifischen Führungsstil. Dieser wirkt sich stark auf die die Kultur und auf die Organisation aus. Führung, Organisation und Kultur haben wiederum einen wesentlichen Einfluss darauf, ob Methoden und Prozesse einen fruchtbaren Boden vorfinden oder nicht. 
  • Business-Modelle haben unterschiedliche Erfolgskriterien, die wiederum die organisatorischen Notwendigkeiten definieren. In einem Marketing-Unternehmen wie z.B. Red Bull wird das Produktmanagement innerhalb der Marketing-Organisation untergeordnet sein, da das Marketing die Wertschöpfung definiert. In einem technologiegetriebenen Unternehmen wird das vermutlich umgekehrt sein. Und bei einer Agentur, die im Kundenauftrag arbeitet und nach Stunden abrechnet, gibt es dynamische Teamzusammenstellungen nach den jeweiligen Kundenbedürfnissen. Es kann gar nicht so sein, dass all diese Unternehmenstypen mit den gleichen Prozessen und Methoden das gleiche Ergebnis erzielen können.
  • Produktgattungen wie B2C, B2B, B2B2C, offene, regulierte oder geschlossene Märkte, lokale oder globale Märkte und weitere Ebenen haben eine wesentliche Auswirkung darauf, wie Produkte entwickelt und vertrieben werden müssen. Und damit erfordern auch sie ein unterschiedliches Vorgehen und Arbeitsweisen. 

Es ist daher nicht ratsam, erfolgreiche Methoden (anderer Unternehmen) ohne Verständnis für das warum zu kopieren. 

Lernen ja, kopieren nein

Gute Ideen anderer zu nutzen und von ihnen zu lernen ist effizient und sinnvoll. Wir sollten aber dieses Wissen im eigenen Kontext hinterfragen und adaptieren. Die Adaption wiederum verlangt ein hohes Maß an Können: 

  • Ein umfassendes Verständnis für die Erfolgskriterien des eigenen Unternehmens. 
  • Ein umfassendes Können im jeweiligen Fachbereich. 

Wer kein*e Meister*in des Fachs ist und/oder die Besonderheiten des Unternehmens nicht ausreichend durchdrungen hat, sollte keinen Auftrag bekommen oder annehmen, Veränderungen an Methoden, Prozessen oder Organisationen durchzuführen. Die Wahrscheinlichkeit für eine Verschlimmbesserung ist sonst hoch.

Bewährt haben sich dagegen Veränderungsprozesse, die 

  • durch ein fachlich diverses Team inklusive Führungspositionen ausreichend gut besetzt ist, um alle spezifischen Unternehmensbesonderheiten zu berücksichtigen
  • sicherstellen, dass durch eigene Mitarbeiter oder Berater eine ausreichende Kompetenz im Bereich der angestrebten Veränderung im Team vorhanden ist
  • Veränderungen vorab mit Pilotprojekten und motivierten Teams testen und wo notwendig justieren oder bei Erfolg kommunizieren
  • ein professionelles Veränderungsmanagement für die Umsetzung sicherstellen

Dies ist ein Beitrag aus der Serie Mythen hinterfragt.


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